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Beyträge
zur
Naturgeschichte

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Beyträge
zur
Naturgeschichte

von
Joh.Fr. Blumenbach Prof. zu Gött. und Königl.Grossbrit. Hofrath.

[Abbildung: 1te Menschen Varietaet]

Erster Theil.

Göttingen,
bey Johann Christian Dieterich, 1790.
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[V]
[Abbildung: 2te Menschen Varietaet]

Vorrede.

Ich liefere in diesen Beyträgen
lauter eigne Aufsätze und zwar
blos solche von denen ich glau-
ben konnte dass sie auch ande-
re Leser als die eigentliches
Studium aus Naturgeschichte
machen, nicht uninteressant und
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[VI]
nicht langweilig finden werden.
Sie sind grösstentheils ganz neu
und was von einigen der übri-
gen schon in andern meiner
Schriften vorkommt ist doch
hier weiter ausgeführt, berich-
tigt u. s. w. So viel sich thun
lies habe ich gesucht die Auf-
sätze in eine Art zusammenhän-
gender Folge zu ordnen, und
da die in diesem ersten Bänd-
chen mehrentheils die Naturge-
schichte des Menschenge-
schlechts betreffen, so sind auf
den beygefügten Vignetten die
fünf Spielarten vorgestellt wor-
den, worein sich das ganze Men-
schengeschlecht meines Bedün-
kens am füglichsten eintheilen
lässt. Sie brauchen nur weni-
ge Worte zur Erläuterung.
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[VII]
I. Die Titel-Vignette. 1ste Men-
schenvarietät.
(– vergl. S. 82 –)
eine Morgenländische schon für sich
ganz verständliche Scene.
II. Die Anfangsleiste der Vorrede.
2te Menschenvarietät (– S. 82 –)
Schinesen. In der Ferne Reisfelder
mit Büffeln gepflügt. (gewöhnlich
zieht aber immer nur einer.)
III. Die Schluss-Vignette der Vor-
rede. 3te Menschenvarietät. (– S.
83 –) Negern am Gambia. Ihre Fi-
scherey, Moor-Hirsenfelder etc.
Auch ist hier so wie auf den beiden
folgenden Kupfern die eigne Form
der Hütten bey den vorgestellten
Völkern genau abgebildet.
IV. Die Anfangsleiste. S. 1. 4te Men-
schenvarietät.
(– S. 83 –) Brasilia-
ner. Der Mann kommt von der Jagd.
V. Die Schluss-Vignette, 5te Men-
schenvarietät.
(– S. 83 –) Südlän-
der von Anamocka oder Neu-Rotter-
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[VIII]
dam, einer der Freundschafts-Inseln.
Ihre Viehzucht, Gartenbau etc. (der
Zaun ist vielleicht ein wenig zu re-
gelmässig vorgestellt. Aber die in
Reihen gepflanzten Bäume u.dergl.
bemerkte schon der berühmte Ent-
decker dieser glückseeligen Inseln
Abel Tasman,)
Göttingen, d.24. April 1790.
[Abbildung: 3te Menschen Varietaet]
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[1]
[Abbildung: 4te Menschen Varietaet]

I.
Ueber die Veränderlichkeit in
der Schöpfung.

Ja so geht’s in der Welt, sagt Vol-
taire
, da haben wir nun keinen
Purpur mehr, denn der Murex  ist
längst ausgerottet. Das arme kleine
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[2]
Schneckchen wird von andern grös-
sern Thieren aufgefressen worden
seyn.
Gott bewahre, antworten die Phy-
sicotheologen,
unmöglich kan die
Vorsehung eine Thiergattung aus-
sterben lassen.
Denn, sagt der ehrliche Savoyi-
sche Landgeistliche
im Emil, es ist
kein Wesen im Universum, das man
nicht gleichsam als den gemeinschaft-
lichen Mittelpunkt für alle übrige
ansehen könnte.
Und, setzt ein andrer vollends
hinzu, keines, was nicht so zu sa-
gen, das für die ganze übrige Schö-
pfung wäre, was Phidias Bild am
Schild seiner künstlichen Minerva
war, das man nicht ausheben durfte
wenn nicht das ganze grosse Werk
zusammenfallen sollte!
Eher, sagt Linné, lässt die Na-
tur neue Arten entstehn. – So
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[3]
hat sie z. B. da nicht weit von Up-
sala
auf Södra-Gässkiaeret ein Pflänz-
chen hervor gebracht, die Peloria ,
das wirklich so was von einer neuen
Schöpfung ist.
Ach, antwortet man ihm, die Na-
tur ist eine alte Henne, die euch
warlich heutiges Tages nichts neues
mehr legen wird.
Freylich nicht, sagt Haller, und
man muss solche Irthümer rügen,
weil sie von den Atheisten begierig
aufgeschnappt werden, die aus der
Entstehung neuer Gattungen so gut
wie aus der vorgeblichen Vertilgung
alter Arten gar zu gerne eine Unbe-
ständigkeit der Natur erweisen möch-
ten: und das darf nicht seyn; denn
fällt die Ordnung in der physischen
Welt weg, so ist es um die Ordnung
in der moralischen Welt, und zu-
letzt um die ganze Religion gethan.
***
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[4]
Wenn auch ich ein Wort drein
reden darf; so glaube ich es ist hier
von allen Seiten der Sache zu viel
geschehn.
Der Murex  findet sich heute noch
eben so wohl als zu den Zeiten der
alten Phönicier und Griechen; –
Die Peloria  aber ist eine krankhafte
Monstrosität und keine eigne neu
entstandne Gattung. – Genau ge-
nommen ist die Natur aber auch in
der That keine alte Henne, – und
die Schöpfung was solideres als jene
Statue der Minerva, – und sie fällt
nicht zusammen wenn gleich eine
Gattung von Geschöpfen ausstürbe
oder eine andre neu erzeugt würde,
– und es ist mehr als blos wahr-
scheinlich dass beides auch wirk-
lich schon wohl eher erfolgt ist, –
nud diess alles ohne die mindeste Ge-
fährde weder für die Ordnung in
der physischen noch in der morali-
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[5]
schen Welt, noch für die ganze Re-
ligion.
Vielmehr finde ich gerade darin
die Lenkung durch eine höhere Hand
am unverkennbarsten, dass trotz die-
ser sogenannten Unbeständigkeit der
Natur dennoch die Schöpfung ihren
ewigen stillen Gang geht, und schon
darum glaube ich lohnt sichs der
Mühe, nachdem so unendlich viel
über die vermeinte unveränderliche
Ordnung in der Schöpfung geschrie-
ben worden, auch einmal an aller-
hand Beweise von der grossen Ver-
änderlichkeit in derselben zu erin-
nern. Freylich muss ich dabey et-
was weit ausholen.
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[6]

II.
Ein Blick in die Vorwelt.

Fast jeder Pflasterstein in Göttingen
zeugt davon, dass Gattungen – ja
sogar ganze Geschlechter von Thie-
ren untergegangen seyn müssen.
Unser Kalkboden wimmelt gleichsam
von den mannigfaltigsten Arten ver-
steinter Seegeschöpfe, unter welchen
meines wissens nur eine einzige Gat-
tung ist, wozu wir noch gegenwär-
tig ein wahres ganz damit überein-
kommendes Original kennen; und
das ist diejenige Art von so genannten
Bohrmuscheln (Terebrateln ) aus dem
mitländischen und atlantischen Mee-
re
, die wegen ihrer Bildung (– da
die eine der beiden zarten bauchich-
ten Schalen am Schloss über die
andre hinüber ragt, und so von der
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[7]
Seite angesehen einige Aehnlichkeit
mit einem Hahne zeigt, der die Henne
tritt, –) den Namen le coq et la
poule
 
erhalten hat *)
*) 
Anomia vitrea . s.Chemnitz Conchylien-
Cabinet VIII. B. tab. LXXVIII. fig. 707-709.
.
Unter dem fast unübersehlichen
Heer der andern versteinten See-
thiere, die ihr Grab in unserm Boden
gefunden haben, sind freylich noch
viele (z. B. unter den Mytiliten,
Chamiten, Pectiniten etc.) zu wel-
chen die mehrsten Naturforscher eben-
falls bestimmte Originale angeben:
allein ich habe bey diesen das Petre-
fact mit dem vorgeblichen Original
oft genug verglichen, und es ist meine
Schuld nicht, dass ich beide dann
unverkennbar specifisch von einan-
der verschieden gefunden habe **)
**) 
Der beynahe einzige, aber dafür desto wich-
tigere Nutze der Versteinerungskunde ist
der Aufschluss, den die Geschichte der
Veränderungen des Erdbodens durch sie er-
hält, aber dazu ist schlechterdings äusser-
ste Genauigkeit im Beobachten nothwen-
dig; zumal wo es auf Vergleichung der
Petrefacten mit ihren vermeinten Origi-
nalen, ankommt. Der Mangel dieser Ge-
nauigkeit hat schon die seltsamsten cos-
mogenischen Irrthümer veranlast.
.
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[8]
Bey einer sehr grossen Menge der
übrigen hieländischen Versteinerun-
gen ist endlich die Bildung so ganz
auffallend von allen jetzt bekannten
Geschöpfen abweichend, dass sie
hoffentlich niemand mehr im Ernst
unter diesen letztern suchen wird *)
*) 
Hr. Superint.Schröter rechnet es zu dem
Hauptnutzen, den wir vom Studium der
Petrefacten ziehen können, dass sie die
Lücken in der Stufenfolge der Natur aus-
füllen helfen. – „Ohne sie„ (sagt er
im IIIten B. seiner Einleitung in die Ge-
schichte der Steine etc. S. 94
) „würden
wir in dieser Stufenfolge und in der Kette
der Natur erstaunende Lücken finden,
die uns durch die Versteinerungskunde
glücklich ausgefüllt werden.„
Wenn man diess bey einem andern
Schriftsteller läse, so würde man es für
einen bittern, aber treffenden Spott über
die vorgegebne Stufenfolge der Natur in
Rücksicht der Bildung
ihrer Geschöpfe an-
sehen: denn was heisst das anders als:
was uns der Schöpfer nicht in natura  ge-
gegeben, das hat er doch wenigstens zum
Behuf der Physicotheologen und ihrer alle-
gorischen Bilder von Ketten und Leitern in
seiner Schöpfung in effigie  eingeschaltet!
.
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[9]
Ich nenne nur zwey Geschlechter
derselben statt aller, die Belemni-
ten *)
*) 
Die Belemniten gehören noch jetzt zu
den gemeinsten Versteinerungen. Und dass
wir sie doch nicht in noch weit grössrer
Menge finden, darüber giebt der Hr. Che-
valier
D’Hancarville
in seinen Recherches
sur l’origine des arts de la Grèce
dem ein-
zigen Buch in seiner Art! (im Iten B. S.
2 u. f.
) folgenden Aufschluss: – es sind
ihrer nemlich, wenn wir seiner Versiche-
rung glauben wollen, in der Kindheit des
Menschengeschlechts so viele verschossen
worden. Denn, sagt er, avant de se ser-
vir de l’airain, ou du fer pour armer les
pointes des Fleches, on y employoit de ces
pierres
Belemnites. – Le marbre d’Arun-
del
met l’époque de la découverte du fer à
l’an 87 après l’arrivée de Cadmus en Grèce.
– avant cette époque les Fleches des Grecs
étoient
nécessairementarmées de ces
pierres
Belemnites, dont le nom conservé
jusqu’ à nous exprime encore l’usage.
 
nemlich und die Ammoniten
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[10]
von welchen beiden ich mannig-
faltige verschiedne Gattungen aus den
mehresten Ländern von Europa und
selbst aus Asien vor mir habe, und
die sich wahrscheinlich auch in den
übrigen Welttheilen (– den fünf-
ten
ausgenommen *)
*) 
s.Hrn. D. und Prof. Forsters Bemerkun-
gen auf seiner Reise um die Welt. S. 19.
–) finden wer-
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[11]
den. Man rechnet gegenwärtig auf
200 verschiedne Gattungen im Am-
monitengeschlechte, und ich halte
das nicht für übertrieben, ohngeach-
tet ich es nie der Mühe werth ge-
funden habe absichtlich nachzuzäh-
len. Und zu keiner einzigen dieser
200 Gattungen ist auch nur je in
der jetzigen Schöpfung ein wahres
Original gefunden worden. Und
da man an gut erhaltnen Ammoniten
offenbar sieht, dass diess (bey aller
ihrer theils colossalischen Grösse)
doch sehr dünnschaalige leichte und
nicht fest sitzende Conchylien gewe-
sen seyn müssen, die nicht, wie man
sonst zur Ausflucht brauchte, in den
Tiefen unsrer Meere versteckt leben
können; und wir nun, nach den
grossen Seereisen wodurch Se. Ma-
jestät der König
den fünften Welt-
theil
grösstentheils entdecken und
die Grenzen unsrer Erde bestimmen
lassen, den Ocean fast besser kennen
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[12]
als das feste Land unsers Planeten,
– so muss man nach allem diesen
der Hoffnung wohl entsagen, dass
die Originale zu diesem weitläufti-
gen Thiergeschlechte, so wie zu tau-
senderley andern Petrefacten, noch
in unsern Weltmeeren versteckt le-
ben sollten.
Alles diess zusammen genommen so
wird es meines Bedünkens mehr als
blos wahrscheinlich, dass schon ein-
mal nicht blos eine oder die andre
Gattung sondern eine ganze organi-
sirte präadamitische Schöpfung auf
unserm Erdboden untergegangen ist.
Unter allen mir bekannten son-
stigen Theorien der Erde ist keine
einzige, mit welcher sich die gedach-
ten augenscheinlichen Eigenheiten
der Petrefacten in unsern Kalkflözen
zusammen reimen liessen; die hinge-
gen sehr begreiflich werden, so bald
man, wie gesagt, annimmt, dass unsre
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[13]
Erde schon einmal eine Totalrevolu-
tion erlitten, einen jüngsten Tag
erlebt hat. Versteht sich dass man
schlechterdings andre sogenannte cos-
mogenische Phänomene, wie z. B. die
Menge von fossilen Knochen der Ele-
phanten und Rhinocerosse und andrer
Thiere der heissen Erdstriche, die in
unsern Gegenden ausgegraben wer-
den, u.dergl. mehr von jener Total-
revolution genau unterscheiden und
absondern muss. Denn das ist, wo
ich nicht irre, bisher immer eine
Klippe gewesen, woran auch selbst
die scharfsinnigsten Theorien der
Erde gescheitert sind, so bald sie alle
jene so sehr von einander verschiedne
Phänomene auf eine einzige gemein-
schaftliche Revolution haben zurück-
bringen, alles aus einer und eben
derselben Catastrophe haben erklären
wollen. Ein eben so scharfsinniger
als liebenswürdiger Naturforscher hat
neuerlich den Ursprung jener hielän-
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[14]
dischen fossilen Knochen ausländi-
scher Landthiere und die wirklichen
Versteinerungen von See-Geschöpfen
in unsern Kalkflözen dadurch mit
einander verbinden wollen, dass er
annimmt, die jetzige Lagerstätte jener
Landthiere sey nicht ihre ehemalige
Heimat gewesen sondern sie seyen
nach ihrem Tode in Flüsse gerathen
und so nach und nach auf den da-
maligen Meeresboden durch die Strö-
mungen zusammen getrieben wor-
den. Allein diejenigen Gegenden
wenigstens, wo ich selbst die Lager-
stätte der grossen exotischen Knochen
untersucht habe, lassen sich schwer-
lich mit jener Hypothese vereinen.
So habe ich z. B. bey Burgtonna im
Gothaischen
das Bette des vor bey-
nahe hundert Iahren daselbst ausge-
grabnen von Tenzel beschriebnen
Elephanten untersucht und gefunden,
dass es so ganz durchaus aus mäch-
tigen Mergel-Lagen besteht die vol-
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[15]
ler kleinen, zarten und grösstentheils
so unversehrten Land- und Fluss-
Schneckchen u.dergl. sind, dass ich
dieses Bette selbst unmöglich für ehe-
maligen Meeresboden halten kan:
sondern dass wahrscheinlich die Ele-
phanten und Rhinocerosse und Schild-
kröten, von welchen allen ich aus
den Tonnaischen Mergelgruben in-
structive Stücke für meine Sammlung
mitgebracht habe *)
*) 
s.Hr. Prof. Voigtüber einige physical.
Merkwürdigkeiten der Gegend von Burg-
tonna im Herzogthum Gotha
in dessen Ma-
gazin für Physik und Naturgeschichte III. B.
4. St.
in jener Ge-
gend zu irgend einer Zeit (wer weis
wie lange nach der gedachten grossen
Totalrevolution,) einheimisch ge-
wesen seyn müssen.
Diese Totalrevolution von der sich
die unzähligen untergegangnen orga-
nisirten Geschöpfe in den Kalkflözen
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[16]
herschreiben, bleibt also für sich,
von den nachherigen spätern, die mit
der umgeschaffnen Erde vorgegangen
seyn mögen, ganz verschieden.
Wie und wodurch jene frühere
Revolution bewirkt worden, lässt
sich wohl schwerlich je mit Zuver-
lässigkeit bestimmen. Inzwischen
kommen doch meines wissens alle
wahrscheinlichen d. h. den Phäno-
menen angemessne Theorien der
Erde überhaupt darin miteinander
überein, dass die Wirkung von
unterirdischem Feuer, einem mehr
oder weniger allgemeinen Erdbrande,
einen Hauptantheil daran gehabt ha-
ben müsse. Sey’s nun dass das Feuer
die vormalige Erdrinde untergraben,
und dadurch den Einsturz derselben
in tiefe Schlünde veranlasst *)
*) 
Nach der Meinung unsers seelHollmann
und Herrn de Luc. – s.des erstern Ab-
handlung hierüber in den Comment.soc.
reg.scientGotting.
T. III. vom J. 1753.
S. 358 u. f.
und des letztern Lettres phy-
siques et morales
an mehrern Orten.
oder
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[17]
auch wohl zum Theil den vormaligen
Meeresboden empor getrieben *)
*) 
Vgl Hrn. O.C.R.Silberschlag’sGeo-
genie
im I und III Th.
und Hr. DoktorHutton’s
Theory of the Earth in den Transactions of
the roy.Soc. of Edinburgh
T. I. 1788.
Zu-
mal im 3ten Abschnitt.
,
so begreift sich dadurch, wie das Meer
sein ehemaliges Bette habe verlassen
müssen, und wie dasselbe mit samt
seinen Bewohnern, den nunmehri-
gen Petrefacten, aufs trockne ver-
setzt und zu jetzigen Flözgebirge
worden. **)
**) 
Es war eine Zeit wo man ganz allgemein
den Ursprung der Petrefacten, und die To-
talrevolution der Erde selbst von der Noa-
chischen
Sündflut ableitete. – So wenig
es aber (wie mir einer der einsichtsvollsten,
und doch gewiss rechtglaubigsten Gottes-
gelehrten, unser seel.Cons.R.Walch
versichert hat) der Würde der heil. Schrift
den allermindesten Eintrag thut, wenn
man die Noachische Flut für nicht allge-
mein hält, so wenig habe ich mir nach
dem, was auch selbst die Thiergeschichte
lehrt, von einer solchen Allgemeinheit
jener Flut eine befriedigende Vorstellung
machen können. So bleibt mir z. B. die
Wallfahrt die dann das Faulthier (das be-
kanntlich eine volle Stunde braucht um
nur 6 Fus weit zu kriechen,) vom Ara-
rat
nach Südamerica hätte machen müssen,
immer ein wenig unbegreiflich.
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[18]
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[19]

III.
Beyläufig ein Wort über den
Basalt.

Ueber die neuerlich so sehr rege
gewordene Streitfrage von der Ent-
stehungsart des Basalts, lässt sich
zwar vor der Hand noch nicht leicht
ein entscheidender Aufschluss erwar-
ten *)
*) 
Es gilt auch hier was Cicero sagt: Se-
quimur probabilia nec ultra id quam quod
verisimile occurrerit progredi possumus.
 
und
wie sehr wäre nur zu wünschen, dass
manche der Verfechter der einen oder an-
dern Meinung auch den gleich drauf fol-
genden Nachsatz immer befolgten: et
refellere sine pertinacia et refelli sine iracun-
dia parati sumus.
 
. Inzwischen deucht mir, dass
man bey der ganzen Untersuchung
die cosmogenischen Data wovon
im vorigen Abschnitt die Rede war,
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[20]
nie aus den Augen verlieren dürfe.
Denn wenn der Basalt im Feuer ent-
standen ist, so geschah das nach al-
ler Wahrscheinlichkeit eben bey dem
gedachten allgemeinen Erdbrande;
folglich ist er dann älter als die gan-
ze nachherige Umschaffung unsers
Planeten; und aller dieser Basalt ist
dann zu gleicher Zeit entstanden,
und er ist (wenigstens dem grössten
Theil nach) im Wasser selbst, ohne
Zutritt der äusern Luft ausgeflossen
und erhärtet.
Folglich wird es dann nieman-
den befremden, wenn er bey der
Vergleichung des Basalts, (von ei-
nem solchen unermesslichen Alter,
und einer solchen Entstehungsart,)
mit einer Lava die ein brennender
Vulcan an die Luft strömt, manchen
Unterschied bemerken sollte, – so
wenig als es jemanden befremden
wird zwischen Bernstein und fri-
schen Baumharz Unterschied zu fin-
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[21]
den, da jenes vermutlich auch bey
irgend einer gewaltsamen Erdrevo-
lution und folglich unter sehr eignen
mitwirkenden Umständen entstanden
zu seyn scheint. Eher ist es zu be-
wundern, dass sich demohngeach-
tet noch so viele und grosse unerwar-
tete Uebereinstimmung zwischen
so vielen Basaltbergen, und den paar
uns näher bekannten europäischen
Vulcanen, so wie zwischen so man-
chem Basalt und manchen Laven
zeigt. Denn wer Gelegenheit hat
ansehnliche Sammlungen von beiden
letztern zu untersuchen, dem kan
die auffallende Aehnlichkeit zwischen
vielen der derbern dichtern Laven
und dem gewöhnlichen Basalt, so wie
zwischen vielem bläsrichten Basalt
und den gewöhnlichen frischen La-
ven in Rücksicht ihres Ansehens und
ihres Gemenges nicht entgangen seyn.
So besitze ich selbst mancherley sehr
dichte wahre Laven vom Vesuv: und
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[22]
sehr bläsrichen wahren Basalt von
unsern Dransberg; und unter den
grossen Geschenken womit der Hr.
Baron von Asch
das academische
Museum
so unermüdet bereichert,
finden sich in der Sammlung soge-
nannter vulcanischer Produkte, wel-
che der berühmte und gelehrte Rei-
sende Hr. D.Reineggs vom Ara-
rat
und aus Erzerum mitgebracht,
verschiedne derselben die wiederum
gerade so viele Aehnlichkeit mit man-
chem Basalt als mit Laven haben; so
wie auch glasartige Stücken die in
Rücksicht des ganzen Ansehens, zwi-
schen dem sogenannten Isländischen
Achat und den gleichfalls unter den
Aschischen Geschenken im Museum
befindlichen vulcanischen Glas-Tro-
pfen aus Kamtschatka völlig in der
Mitte stehen.
So wenig man indess, wie schon
gesagt, vor der Hand auf eine voll-
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[23]
kommne Entscheidung der Frage
über die Entstehungsart des Basalts
wird rechnen können, so natürlich
ist es dennoch dass man in so einem
noch unentschiedenen Falle bey Prü-
fung des pro  und contra  sich auf die eine
oder die andere Seite geneigt fühlt;
und so sind mir denn freylich bis jetzt
die Gründe für die Entstehung des Ba-
salts durch einen Erdbrand bey jener
Totalrevolution unsrer Erde noch
immer überwiegend. Ich kan darin
irren, aber dann irre ich wenigstens
(– wie der grosse Edm. Halley
einmal bey einem ähnlichen cosmo-
genischen Problem sagt –) in sehr
guter Gesellschaft. *)
*) 
„– wherein, if I err,  – sind seine Wor-
te – I shall find myself in very good
Company. –
 
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[24]

IV.
Umschaffung der Vorwelt.

Wenn die Vorwelt eine Totalre-
volution erlitten hat, wie es wohl
unverkennbar scheint; und wenn
diese Revolution wahrscheinlicher
weise durch einen allgemeinen Erd-
brand bewirkt worden ist; so muss
wohl nachher ein sehr langer Zeit-
raum verstrichen seyn, ehe die neu-
veränderte Rinde unsers Planeten
nun wieder abgekühlt und überhaupt
ihre Oberfläche wiederum geschickt
ward, mit neuer Vegetation belebt
und mit neuer thierischer Schö-
pfung beseelt zu werden.
Wie sie zu dieser Reife gediehen
war, dann hat der Schöpfer wohl im
ganzen die gleichen Naturkräfte zur
Hervorbringung der neuen organi-
schen Schöpfung wirken lassen, die
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[25]
auch in der Vorwelt diese Absicht
erfüllt hatten.
Nur dass der Bildungstrieb nach
dem durch eine solche Totalrevolu-
tion freylich wohl anders modificirten
Stoffe auch wohl bey Erzeugung der
neuen Gattungen eine von der vor-
maligen mehr oder weniger abwei-
chende Richtung hat nehmen müssen.
Daher finden wir freylich nur zu
sehr wenigen Versteinerungen aus der
Vorwelt ein ganz ähnliches Geschöpf
in der jetzigen Schöpfung, wie z. B.
zu dem oben angeführten Terebratu-
lit in den hiesigen Kalkbergen die
Bohrmuschel aus dem atlantischen
Ocean
. Hingegen eine Menge von
solchen Petrefacten die den jetzigen
organisirten Körpern zu ähneln schei-
nen
, und daher wie schon gesagt bey
blos flüchtiger Vergleichung oft für
einerley mit denselben angesehen
werden, die aber bey genauer Prü-
fung unverkennbare specifische Ver-
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[26]
schiedenheit in ihrer Bildung zeigen
und zum Erweis dienen können, wie
der Bildungstrieb in diesen beiden
Schöpfungen zwar auf eine ähnliche –
aber nicht auf die gleiche Weise ge-
wirkt hat.
Und die etwanige Einwendung,
ob nicht dieser Unterschied auch
wohl durch blose Degeneration in
einer langen Reihe von Jahrtausen-
den habe bewirkt werden können,
wird sehr leicht durch diejenigen Bey-
spiele widerlegt, wo die Verschie-
denheit zwischen fossilen und fri-
schen, einander im Ganzen ziemlich
ähnelnden Conchylien doch von der
Beschaffenheit ist, dass sie schlechter-
dings weder für eine Folge der Ab-
artung, noch für eine zufällige Mon-
strosität, sondern schwerlich für et-
was anders als für eine veränderte
Richtung des Bildungstriebes gehal-
ten werden kan. Nur gleich eins
dieser Beyspiele, statt aller:
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[27]
In den nordischen Meeren lebt ei-
ne Schnecke deren ansehnliches Haus
unter dem Namen von Murex despe-
ctus
 
allgemein bekannt ist; und am
Ufer von Harwich gräbt man eine
fossile Schnecke in Menge aus die im
Totalhabitus so grosse Aehnlichkeit
mit jenem Murex  hat, dass man auf
den ersten Blick eine mit der andern
verwechseln könnte. Allein – die
frische Gattung ist, wie gewöhnlich,
rechts gewunden: bey der fossilen hin-
gegen laufen die Gewinde gerade um-
gekehrt, links: *)
*) 
Anfractibus sinistrisscontrariis s.Chem-
nitz
Conchyliencabinet IX. B. I. Th. tab. CV.
fig. 894. u. f.
und es ist eben so
unerhört diesen fossilen Muriciten
rechts gewunden, als jenen frischen
Murex  linksgewunden zu sehen. –
So was ist nicht Folge der Ausartung,
sondern Umschaffung durch veränder-
te Richtung des Bildungstriebes.
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[28]

V.
Veränderlichkeit in der jetzigen
Schöpfung.

Eine ganze Schöpfung organisirter
Körper ist also einst nach aller Wahr-
scheinlichkeit untergegangen, und
eine neue ist ihr succedirt. Allein
auch selbst in dieser neuen zeigt sich
so viele Veränderlichkeit oder wie
es Hr. von Haller nannte, Unbe-
ständigkeit der Natur
, dass einem
schon à priori  wie man sagt, auch
hier das Aussterben ganzer Gattun-
gen und die neue Entstehung von
andern nicht unbegreiflich fallen
dürfte, wenn auch nicht beides durch
wirkliche data  mehr als blos wahr-
scheinlich gemacht würde.
So fand sich z. B. noch zu unsrer
Väter Zeit auf Isle de France und
einigen benachbarten kleinen Inseln,
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[29]
aber sonst, soviel bekannt, nirgend
in der Welt, eine Gattung grosser
plumper träger Landvögel, von wi-
derlichen Fleisch, die Dudus , deren
Aufenthalt um so eingeschränkter
war, da sie so wenig als der Casuar
fliegen konnten. Nach den Versi-
cherungen des Hrn. Morel aber,
der deshalb an Ort und Stelle Unter-
suchungen angestellt hat, existirt die-
ser Vogel jetzt nicht mehr. Er ist
allgemach ausgerottet. – Und das
ist nicht unbegreiflicher und nicht
unwahrscheinlicher, als dass, wie
bekannt a.1680. der letzte Wolf in
Schottland erschossen worden, wo
noch hundert Jahr vorher grosse
Wolfsjagden gehalten wurden. So
wie schon früher diese Raubthiere
aus England, und 30 Jahre später
auch aus Irland vertilgt worden sind.
So bleiben sich überhaupt weder die
Faunen noch die Floren (wie man
diese Verzeichnisse einheimischer
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[30]
Thiere und Pflanzen nennt) in ei-
nem Lande beständig gleich! Genug
Geschöpfe verlieren sich aus einer
Gegend, andre werden hinwiederum
verpflanzt und verbreitet. Seys ab-
sichtlich, so wie z. B. die Karpen nun
in vielen nordlichen Ländern durch
die Kunst naturalisirt worden; oder
zufällig so wie sich die Ratten aus der
alten Welt auch in die neue einge-
nistelt haben.
Und so hat es gar nichts wider
sich, dass auch in der grossen Uni-
versal-Faune oder Flore der Schö-
pfung (zumal aber in der erstern)
einmal wie gesagt eine Gat-
tung aussterben, dagegen aber auch
wohl eine neue zuweilen gleichsam
nacherschaffen werden kan.
Der Finnenwurm im Schweinefleisch
den Malpighi zuerst entdeckt
hat, ist in seiner Art ein eben so
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[31]
vollkommnes wahres Thier als der
Mensch und der Elephant in der ih-
rigen. Nun aber findet sich, soviel
bekannt, dieses Thier blos beym zah-
men Hausschwein; und niemalen
hingegen bey der wilden Sau, von
der doch jenes abstammt. Dieser
Wurm scheint also eben so wenig
der Stammrace der Schweine aner-
schaffen, als es glaublich ist, dass
die ähnlichen Gattungen von Blasen-
würmern
die man neuerlich eben so
wie jene Finnen mitten im Fleisch und
an den Eingeweiden menschlicher Lei-
chen gefunden, den Stammeltern des
Menschengeschlechts sollten aner-
schaffen gewesen seyn. Wie sie
freylich nacherschaffen worden, das
weis ich eben so wenig als wie in
den Jünglingsjahren die ersten Saa-
menthierchen entstehen: dass sie
aber nacherschaffen worden, scheint
mir unverkennbar, und ich rechne
das zur grossen Veränderlichkeit in
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[32]
der Natur, und diese grosse Verän-
derlichkeit selbst zu den wohlthätig-
sten weisesten Einrichtungen des
Schöpfers.
Wie eingeschränkt wäre selbst der
Wirkungskreis des Menschen ohne
diese selbst durch ihn zu bewirkende
Veränderbarkeit der Natur. Und
wie wird er nun hingegen gerade
durch dieselbe recht Herr und Mei-
ster der übrigen Schöpfung. Um das
zu fühlen erinnere man sich blos der
erstaunenswürdigen Umschaffung die
er seit Entdeckung der neuen Welt
zwischen ihr und der Alten vorge-
nommen und ausgeführt hat.
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[33]

VI.
Die Ausartung der organisirten
Körper.

Auch die Degeneration der Thiere
und Pflanzen von ihrer ursprüngli-
chen Stammrace in Spielarten, ge-
hört zu den auffallenden Erweisen
der Veränderlichkeit in der Schö-
pfung.
In der Mitte des XVIten Jahrhun-
derts
kannte man keine andere Tul-
pe in Europa als die gemeine gelbe
Stammart. Und keine 200 Jahre
nachher hatte schon ein leidenschaft-
licher Liebhaber dieser Blumen, der
damalige Marggraf von Baden Dur-
lach
bey dreytausend Abbildungen
von verschiedenen Spielarten dersel-
ben zusammen gebracht. *)
*) 
Biblioth. raisonnée T. XXXIV. p. 284.
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[34]
Es ist nicht viel länger seit die er-
sten wilden grünen Canarienvögel
aus ihrer Heimat nach Europa ge-
bracht worden, und wie sind schon
längst diese Thiere in die mannich-
faltigsten Verschiedenheiten – nicht
blos der Farbe, sondern auch selbst
der Gestaltung – ausgeartet.
Man hat die Ursachen dieser Aus-
artung vorzüglich im Einfluss des
Clima, der Nahrung und der Lebens-
art gesucht, und freylich scheinen
manche Wirkungen dieser drey Din-
ge auf die Degeneration unverkenn-
bar. Dass z. B. im ganzen genom-
men, das Wachsthum durch die
Kälte zurückgehalten wird, oder
dass das individuelle Clima einer oder
der andern Weltgegend auch gewisse
auszeichnende Wirkungen auf die
in ihr einheimischen organisirten
Körper äusert. Dass z. B. in Syrien
vielerley Säugthiere ein so auffallend
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[35]
langes und seidenartiges Haar haben
u.dergl.m.
Aber freylich können auch sehr
oft mehrere der angegebenen Haupt-
ursachen der Degeneration entwe-
der zusammentreffen und einander
unterstützen oder aber auch die eine
der andern gleichsam entgegenwir-
ken und sie aufheben; daher dann
freylich von tausend Phänomenen der
Ausartung keine bestimmte Ursache
angegeben werden kan. Genug,
dass die Phänomene selbst nun ein-
mal als unverkennbare Folgen der
Veränderlichkeit der Natur so sind.
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[36]

VII.
Besonders unter den Haus-
thieren.

Natürlicher Weise haben die Ursa-
chen der Degeneration auf diejenigen
Hausthiere am tiefsten und mannich-
faltigsten wirken müssen, die der
Mensch sich schon seit langen Gene-
rationen und so unterjocht hat, dass
sie sich auch dabey fortpflanzen, nicht
wie beym Elephanten jedes Indivi-
duum erst aus der Wildniss einge-
fangen werden muss: und die zu-
gleich fremder Climate gewohnen,
nicht wie das Rennthier in ein ein-
geschränktes Vaterland wie gebannt
sind.
Das gemeine Hausschwein kan
hier zu einem Beyspiel statt aller die-
nen, das ich um so lieber wähle, da
die Abstammung dieses Thiers weit
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[37]
unbezweifelter ist als bey vielen an-
dern. Der Hund z. B. artet zwar
auch selbst unter unsern Augen man-
nichfaltig aus, allein, es ist auch
nicht völlig ausgemacht, und schwer-
lich jemals ganz auszumachen, ob
alle Hunde blosse Spielarten von ei-
ner und eben derselben Gattung sind
oder nicht. Manche grosse Natur-
forscher haben bekanntlich den Schä-
ferhund als die gemeinschaftliche
Stammrace für alle übrigen angese-
hen: andere haben sogar den Wolf
und Schackal mit zu den Hunden ge-
zählt: noch andere hingegen finden
es nicht unwahrscheinlich, mehr als
eine Stammrace von Hunden selbst,
anzunehmen. Und allerdings hat
meines Bedünkens die letztere Mei-
nung viel für sich. Nicht zwar die
Verschiedenheit der Bildung unter
den Hunderacen an und für sich:
denn wie sehr kan die nicht seit den
langen Jahrtausenden, da der Mensch
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[38]
schon dieses Thier, (das sich vielleicht
nirgend mehr ursprünglich wild*)
*) 
Der Unterschied zwischen ursprünglich wild
und blos verwildert muss bey Untersuchun-
gen dieser Art auf das sorgfältigste beob-
achtet werden. So giebts in beiden Wel-
ten verwilderte Pferde in unsäglicher
Menge: aber niemand kennt das ursprüng-
lichwilde Pferd. So fanden sich noch zu
Anfang dieses Jahrhunderts auf der klei-
nen Insel Iuan Fernandez (dem vierjäh-
rigen einsamen Aufenthalt des armen Selkirk
dessen wahre Geschichte bekanntlich zum
Robinson Crusoë umgearbeitet worden)
verwilderte Ziegen so gut wie verwilder-
tes Getraide, die aber beide eben so we-
nig daselbst ursprünglich zu Hause gehör-
ten, als die verwilderten Affen, die sich
bis jetzt auf den Felsen von Gibraltar
fortgepflanzt haben.
fin-
det,) mehr als irgend ein anderes in
seinen nähern Umgang gezogen und
theils mit sich in fremde Climate ver-
pflanzt hat, abgeändert worden seyn:
aber das scheint mir ein Grund für
Digitalisat/150